Vorwort
Dieses Buch beinhaltet die Grundlagen des Schemapädagogik-Ansatzes sowie dessen Potenzial für sozialpädagogische Arbeitsfelder (unter anderem Krippe, Kindergarten, Hort, Heim, offene Kinder- und Jugendarbeit, Kinder- und Jugendpsychiatrie). Da dieses Konzept noch sehr neu ist, möchte ich im Folgenden einige Sätze zur Entstehung und zu allgemeinen Charakteristiken anmerken.
Im Sommer 2009 begann unter der Federführung meines geschätzten Freundes und Kollegen Marc-Guido Ebert in Speyer die Lehrer-Weiterbildung „Berufsförderpädagogik“, und zwar am IFB (Institut für schulische Fortbildung und schulpsychologische Beratung Rheinland Pfalz).
Das Angebot stieß auf reges Interesse. Es meldeten sich mehr als 30 Lehrerinnen und Lehrer aus ganz Rheinland-Pfalz an. Ich war damals im Dozenten-Team vertreten und übernahm unter anderem das Thema: „Schwierige Schüler – und wie man mit ihnen klarkommt“. Seit Jahren beschäftige ich mich mit den zwischenmenschlichen Aspekten des Lehrerberufs.
Verschiedene psychologische Themen des schulischen Zusammenlebens wurden entsprechend in diesem Rahmen besprochen. Es ging unter anderem um Psychospiele im Klassenraum, unterschwellige Wahrnehmungsprozesse aufseiten des Lehrers und der Schüler, um Gruppendynamik, Persönlichkeitspsychologie und um Mobbing.
Darüber hinaus plante ich – nicht ohne Grund – auch ein Seminar ein, in dem die Grundlagen der sogenannten schemaorientierten Psychotherapien thematisiert wurden.
Dies erscheint nun auf den ersten Blick sehr untypisch. Man könnte ja vorauseilend einwenden (und das taten auch einige Lehrer): Was hat denn Psychotherapie mit Pädagogischer Psychologie, genauer gesagt, mit Unterricht zu tun? (Namentlich handelt es sich bei den Therapiekonzepten um die Kognitive Therapie, Klärungsorientierte Psychotherapie und Schematherapie.)
Der Anlass für das Seminar war folgender: Diese teilweise noch sehr jungen Konzepte sind sehr innovativ, wissenschaftlich up to date, und sie beinhalten faszinierende Modelle zum Verständnis und zur Behandlung von dysfunktionalen Interaktionsmustern und Beziehungsstörungen. – Sie geben daher gleichzeitig, wenn auch nur zwischen den Zeilen, interessante, umfassende und kompetente Antworten auf die sogenannten Gretchenfragen, die sich erfahrungsgemäß jeder Lehrer einmal stellt. Sie lauten in etwa so:
– Wie „ticken“ verhaltensauffällige Schüler?
– Wieso bringt mich Schüler X trotz meiner guten Vorsätze immer wieder auf die Palme?
– Was steckt hinter dem problematischen Verhalten von Schüler X?
– Wieso geraten manche Schüler (und Lehrer) immer wieder in dieselben nachteiligen
Konfliktsituationen?
– Wie gehe ich bestenfalls mit „schwierigen“ Schülern um?
– Wieso erreiche ich manche Schüler trotz offensichtlich überzeugender Argumente nicht?
Nun wurden die schemaorientierten Psychotherapien ursprünglich konzipiert für die Veränderung von charakterologischen und verhaltensspezifischen Auffälligkeiten von Patienten. Außerdem geht es den betreffenden Therapeuten auch um die Behandlung von sogenannten Persönlichkeitsstörungen.
In ausführlichen fachlichen Gesprächen mit der Lehrergruppe in Speyer ergab sich jedoch recht schnell die Erkenntnis, dass auch so mancher Schüler einige Kriterien eines kostenintensiven („schwierigen“) Persönlichkeitsstils offenbart, andere Heranwachsende sogar Kennzeichen einer Persönlichkeitsstörung.
„Zähneknirschend“ kam man zu dem Schluss: Mit solchen Schülern müssen wir uns auseinandersetzen, ob wir wollen oder nicht! Daher wurde das Psychotherapie-Seminar ins Auge gefasst.
In Bezug auf die Entstehungsgeschichte der Schemapädagogik, die viel mit der Weiterbildung in Speyer zu tun hat, heißt das: Es ging am Anfang der Weiterbildung zunächst um das Verständnis derjenigen innerpsychischen Prozesse, die Schüler sowohl im (häufig nicht immer störungsfreien) Alltagsunterricht als auch in prekären Situationen offenbaren.
Recht zügig wurde aber auch klar, dass so manche Arbeitsweise, die im psychotherapeutischen Setting angewendet wird, auch im Schulalltag hilfreich im Umgang mit verhaltensauffälligen Schülern sein könnte (wenn auch in vereinfachter Form). Dabei handelt es sich um leicht modifizierte Methoden, die schnell erlernbar und umsetzbar sind (siehe auch Kapitel 3.3.4).
Noch in der ersten „Psychotherapie-Veranstaltung“ fasste die Gruppe den Entschluss, einige Arbeitsweisen einmal im Unterricht auszuprobieren. Einige Wochen später erhielt ich per E-Mail schon die ersten Rückmeldungen, die durchweg sehr positiv ausfielen. Hieraus entstand die Idee, eine Schema-Pädagogik zu entwerfen. Aus den schemaorientierten Psychotherapien wurde auf diesem Weg eine Schemapädagogik für den Unterricht.
Der ausgearbeitete Transfer in den Schulalltag liegt noch nicht in schriftlicher Form vor, aber ein entsprechendes Manuskript ist gerade in Vorbereitung (siehe auch die weiterführende Literatur am Ende dieses Buches).
Was ist Schemapädagogik?
Schemapädagogik ist ein Ansatz, der in sozialpädagogischen und psychosozialen Arbeitsfeldern praktiziert werden kann, um vor allem Zu-Erziehende/Klienten ganzheitlich zu fördern. Die wissenschaftlichen Grundlagen stellen neben den schemaorientierten Psychotherapien vor allem die Neurobiologie, Motivationspsychologie und die Bindungstheorie dar.
Im Rahmen dieses Konzepts wird davon ausgegangen, dass psychosoziale Probleme von Klienten/Zu-Erziehenden hauptsächlich durch nachteilige innerpsychische Muster (Schemata) verursacht werden.
Diese Muster haben einen ganz persönlichen biografischen Hintergrund. Interessanterweise sind sie dem Betreffenden in der Regel nicht bewusst, da Schemata überwiegend in denjenigen Hirnregionen neuronal verortet sind, die für emotionale Prozesse verantwortlich sind, im sogenannten impliziten Gedächtnis.
Dieser (zwangsläufig) hohe affektive Anteil geht gewöhnlich zulasten des kognitiven, besonders dann, wenn Schemata aktiviert werden und den Betreffenden zu irrationalen Denk- und Verhaltensweisen motivieren.
Irrationale Schemata entstanden in Auseinandersetzung mit der sozialen Umwelt, weshalb sie auch nicht infrage gestellt werden. Man hält sie für sinnvoll und real.
In zwischenmenschlichen Situationen, in denen Schemata ausgelöst werden, kommt es automatisch zu bestimmten Gedanken, Affekten, Emotionen und Körperempfindungen. Dies verhindert eine objektive Einschätzung der konkreten Situation, es kommt zu Wahrnehmungsfehlern.
Der Betreffende meint dann, die Umstände oder die Mitmenschen seien an seinen unliebsamen Emotionen schuld, weshalb er sich aus seiner Sicht „nur“ wehrt und etwa andere angreift. Er sieht nicht, dass „die Anderen“ lediglich sein in der Kindheit oder Jugend entstandenes negatives, weil irrationales Muster auslösen.
So kommt es etwa zu dem leidigen Phänomen, dass bestimmte „harmlose“ Kommentare des professionellen Helfers seitens des Zu-Erziehenden intuitiv als Bedrohung wahrgenommen werden, gegen die er sich wie automatisch verteidigt. Der Pädagoge hat in einem solchen Fall durch seine Bemerkung lediglich ein dysfunktionales Muster ausgelöst.
An diesen und anderen innerpsychischen Dilemmata setzt die Schemapädagogik an. Schemapädagogen realisieren eine spezielle (komplementäre) Beziehungsgestaltung, um Vertrauen, Solidarität und Sympathie aufzubauen (Beziehungskredit).
Erst dann können gewöhnlich die kostenverursachenden Persönlichkeitsfacetten (Schemamodi) gemeinsam thematisiert werden. Dadurch entwickelt der Zu-Erziehende schrittweise ein Problembewusstsein, das vorher nur rudimentär vorhanden war, wenn überhaupt (ohne dieses Bewusstsein sind Verhaltensänderungen sehr unwahrscheinlich).
Der junge Mensch erkennt irgendwann, dass sein ganz bestimmter innerpsychischer Persönlichkeits-Teil in typischen Situationen sein Denken, Fühlen und Handeln beeinflusst. Er lernt, in zukünftigen schemaauslösenden Konstellationen eine bewusste Kontrolle auszuüben und so den Verhaltensautomatismus, dem er bisher ausgeliefert war, zu durchbrechen.
Auf diese Weise sollen dysfunktionale Muster verändert werden. Schemapädagogik hilft dabei, irrationale Selbst- und Beziehungsschemata von Zu-Erziehenden abzubauen.
Der erste Beitrag zur Schemapädagogik (DAMM 2010a), der bereits Anfang 2010 erschienen ist, beinhaltet die Grundlagen und den Transfer des Ansatzes in psychosoziale Arbeitsfelder (Schulsozialarbeit, Paarberatung, Sozialpädagogische Familienhilfe, Erziehungsberatung, Strafvollzug, Bewährungshilfe, Streetwork).
Danksagung
Zunächst geht mein Dank an meine Frau, die mir während der Arbeit an diesem Buch in allen Lebenslagen den Rücken freigehalten hat und eine hohe Frustrationstoleranz bewies, wenn ich mal wieder für einige Stunden im Arbeitszimmer verschwand und den Laptop bearbeitete (was in den letzten Monaten häufiger der Fall war).
Ebenfalls geht mein Dank an Marc-Guido Ebert; hätte er mir nicht die Möglichkeit gegeben, an der Weiterbildung „Berufsförderpädagogik“ als Dozent mitzuwirken, gäbe es heute aller Wahrscheinlichkeit nach gar kein Konzept mit dem Namen Schemapädagogik.
Simon Zimmer, Schüler der Klasse Höhere Berufsfachschule 08h an der Berufsschule Wirtschaft 2 in Ludwigshafen, hat sich intensiv mit der leidigen Aufgabe des Korrektorats befasst und mich sehr unterstützt. Vielen Dank auch hierfür, Simon.
Dasselbe gilt für Manuel Eschenbaum, sozusagen mein „personal corrector“ seit vielen Jahren.
Letztlich möchte ich mich noch bei den Lehrerinnen und Lehrern bedanken, die an der erwähnten Weiterbildung 2009/2010 teilnahmen und noch immer mitwirken.
Die zahlreichen konstruktiven Gespräche, Feedbacks und schemapädagogischen Feldversuche waren sehr inspirierend und haben die Konzeption der Schemapädagogik maßgeblich beeinflusst.
Noch eine kleine Bemerkung zum Schluss: Die in Erscheinung tretenden Fallbeispiele aus den sozialpädagogischen Arbeitsfeldern, die schemapädagogische Elemente beinhalten, basieren auf verschiedenen Erlebnissen von Schülerinnen und Schüler der Fachschule für Erzieher und höheren Berufsfachschule für Sozialassistenz 09b, die ich als Klassenlehrer im Schuljahreszeitraum 2009/10 bis 2011/12 betreue. So gesehen können die Erfahrungen als „schemapädagogische Feldversuche“ bezeichnet werden.
Die professionellen Helfer und Zu-Erziehenden wurden äußerlich zwecks Wahrung ihrer Anonymität verändert.
Worms, im April 2010
Marcus Damm
Seitenanfang |