Der Begriff Narzissmus hat i.d.R. eine negative Konnotation. Dies ist kein Wunder, stammt er doch aus dem klinischen Kontext. Und wie viele Ratgeber für alle Lebenslagen es dazu gibt …

Freud hat das Narzissmus-Konzept in die Psychologie bzw. Psychotherapie eingeführt.

Selbstbewusst vs. narzisstisch

Die Grenzen zwischen einem gesunden Selbstbewusstsein und narzisstischen Tendenzen sind fließend. Haben wir es mit narzisstisch strukturierten Teenagern beruflich zu tun, so kann dies situativ herausfordernd sein. Die Betreffenden wollen erfahrungsgemäß gesehen werden. Sie stehen gerne im Fokus des Alltagsgeschehens und brauchen häufig Worte und Gesten der Anerkennung und Bewunderung. Schon ein einziger entsprechender Charakter in einem Verband reicht dahingehend aus, dass es alltäglich für alle Anwesenden nicht langweilig wird.

Innere Teile-Arbeit

Natürlich ist eine Person nicht ausschließlich narzisstisch veranlagt. Jede und jeder von uns ist gewissermaßen ein Mix aus verschiedenen Persönlichkeitsfacetten, in manchen Fällen dominiert halt eine. Diesen Umstand machen wir uns zunutze, indem wir z.B. mit dem Betreffenden gemeinsam ein Innere Teile-Modell erstellen. Hierfür muss natürlich eine stabile Arbeitsbeziehung bestehen (s.u.). Unter vier Augen werden auf Flipchart-Papier z.B. (oder ein anderes Format) in einen großzügig gezeichneten Torso (mit Kopf) die inneren Anteile (Modi) des Betreffenden gefunden, reflektiert, betitelt und fokussiert, etwa der “glückliche Mika”, der “selbsbewusste Mika”, der “kompetente Mika” usw. (Die Anteile sollten mit dem Vornamen des Betreffenden verknüpft werden.). Die förderlichen Anteile können mit einem grünen Edding hineingeschrieben werden, die potenziell nachteiligen mit einem roten. Am Ende hat (in Bezug auf den skizzierten Fall) Mika ein Innere Teile-Modell vor sich liegen und kann mehr über sich selbst lernen – mithilfe des Gegenübers: “Wann wird der glückliche Teil in dir getriggert?”; “Wann kommt der aggressive Teil aus dir raus?” usw.

Beziehungsaufbau

Allein schon diese Methode kann eine sichere Basis erschaffen, die durch entstehendes Vertrauen unterfüttert wird. Zuvor sollten Pädagog*innen aber schon auf die “narzisstischen” Grundbedürfnisse gut dosiert eingehen. Die Betonung liegt auf: gut dosiert.

Grenzen setzen

Auf der anderen Seite darf natürlich der Jugendliche nicht das Zepter an sich reißen und die Gruppe bzw. den Arbeitsablauf sprengen. Ich decke z.B. entprechende Situationen, die in diese Richtung gehen, komplett auf (Sachebene) und formuliere, was geht und was nicht geht: “Mika, ich verstehe dein Bedürfnis nach dem Kick gerade, nach Selbstdarstellung – aber jetzt geht das nicht, wie müssen … !” Dazu braucht es natürlich auch eine körpersprachliche Haltung.

Natürlich setzt die Fachkraft die Grenzen direkt in der Kennenlernphase, wann auch sonst, sie wird bereits zu Anfang der Zusammenarbeit dahingehend getestet von Mika.

Ressourcenorientierung und Fazit

Auf der anderen Seite darf die Fachkraft die Ressourcen von narzisstisch strukturierten Jugendlichen nicht aus den Augen lassen! Sie sollten systemisch gefördert, d.h. im Rahmen des aktuell Möglichen eingebunden werden. In meiner Berufspraxis übernehmen die Mikas dieser narzisstischen Welt Aufgaben “als Sidekick”. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Da gibt es kein Patentrezept. Machen Sie was daraus – ihr Mika wird es Ihnen danken und sich integrieren.

Veröffentlichungen

Empathen, Einzelgänger, Schauspieler und Perfektionisten im Klassenraum: Ein schemapädagogischer Praxisratgeber für Lehrkräfte

Guter Unterricht braucht Beziehungen:

Schemapädagogik – ein Ansatz zum Umgang mit verhaltensauffälligen Schülern

“Ich beende den Unterricht, nicht die Klingel!”: 12 Lehrertypen – und wie man sich und anderen Lehrkräften auf die Schliche kommt

„Gar nichts muss ich!“: Mit narzisstischen Schülern kompetent umgehen 

Achterbahnfahrten im Klassenraum: Konstruktive Zugänge finden zu Schülerinnen und Schülern mit Borderline-Persönlichkeit

Beziehungsgestaltung und Ressourcenförderung im Jugendheim Lory: Ratgeber Schemapädagogik in der stationären Jugendhilfe